Gerhard Faulhaber

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Die Natur des Bleistifts - Notizen zu einigen Zeichnungen

. . . . . Faulhabers Zeichnungen nach Talbot holen mit Hilfe des allereinfachsten Werkzeugs (Stift) und einer glänzend-opaken Materie (Blei) die ursprüngliche Intentionen des großen Engländers zurück: die „uns nähere alltäglicheWelt“ (Hegel) als eine besondere und von störenden Ablenkungen freie ins Bild zu setzen.

Talbot hat diese Welt überliefert. Einer scheinbar zwingenden Gewohnheit zufolge mündet sie in die unabsehbare Geschichte der Papierphotografie und wird so, ohne eigenes Zutun, auf dem einmal gewesenen Alltag verbannt. Faulhabers Bleistift bestäubt und betäubt das makellose Blatt. Er punktiert es. Und verführt es dazu, auf seineBerührungen, sein Handauflegen, seine myriadische Akupunktur wie ein Organismus zu reagieren.

Der staubfein und hauchdünn verteilte dunkle Glanz der Graphitnebel überführt den von der Photographie auf das Papier hypnotisierten Raum - die schwebend erstarrte Büste des Patroklos in Talbots Lacock Abbey; der ovale, wie von Geisterhand gedeckte Tisch - in die Zeichnung eines Traums. Das kostbare, chemische Präparat des eingeschleusten und ausgesiebten Lichts, der Abdruck der mittäglichen Sonne auf dem Papier wird vom Künstler erneut präpariert - als Zeichnung. Es sind in einem extremen Sinn zeithaltige Bilder die Gerhard Faulhaber der Photographie entlockt - mit Hilfe magisch anmutender Praktiken („Handauflegen“, „Akupunktur“) ebenso wie durch eine intime Versenkung in Talbots schimmernden Dämmer. In ein Bild gefasst: die einmal durch Licht und Optik bewirkte Verteilung der chemisch ausgefällten Partikel auf dem Papier mutet an wie etwas unverrückbar Geronnenes: „Photography“, wie Sir John Herschel es sofort erkannt und benannt hat. Gerhard Faulhaber gelingt das Wunder, das scheinbar für immer Niedergelegte, das Präparat von Licht und Schatten bleistiftzart wiederzubeleben und in einen fragilen, geisterhafte Aggregatzustand zu versetzen. Als hätte er Chladnis magnetischen Zauberschlag der Klangfiguren aus Eisenstaub für die Kunst des Zeichnens entdeckt!

Hanns Zischler

(Aus Katalog: Gerhard Faulhaber, Hrsg. Zwinger Galerie, Alpheus Verlag, 2008)

Gerhard Faulhaber


Nachbilder. Über das Zeichnen nach Fotografien

Statt dinglicher Fixierung: Auflösung der Kontur. Statt Blickbündelung: Zerstreuung über das Bildfeld. Statt Erfassung des Moments: Dehnung der Zeit. Statt ausgreifender Geste: Aufgehen der Handschrift in mikrologischen Markierungen. Statt Expression des Innen: Finden des Motivs in bereits bestehenden Bildern. Statt des einzigen Bildes: Streckung zur Serie.

Faulhabers Zeichnungsart unterscheidet sich in einem wesentlichen Zug von dem Verständnis, das die Tradition der Gattung prägte und in der frühneuzeitlichen Theorie des ‚disegno’ eine bis heute nachwirkende Form gewann. Danach ist Zeichnen ein Akt des Linienziehens, in welchem die interne Konzeption des Bildes und deren externe Ausführung möglichst nahtlos ineinander übergehen sollten. Der Rang der Zeichnung im Gefüge der Künste begründete sich darin, dass ihr Basiselement ontologisch kaum zu fassen ist: Die Linie, welche die Dinge von ihrer Grenze her erfasst, ist ein ‚Nichts’, weder im Ding noch außerhalb des Dings. Durch konturgebende Linien werden die gezeichneten Dinge bestimmt, obschon es diese Konturen in der wahrgenommenen Welt nicht gibt. Doch ist die Linie in der Lage, Unterscheidungen einzuführen: zwischen Ding und Nicht-Ding, diesseits und jenseits, innen und außen. Die gezogene Linie bricht das raumzeitliche Kontinuum auf, mit der Folge, dass es nun zwei voneinander unterschiedene Seiten gibt. Gerade weil die Linie nichts ist, was man der Natur selbst entnehmen kann, wurde der Zeichnungsakt im Zuge der frühneuzeitlichen Aufwertung der künstlerischen Tätigkeit zum entscheidenden Können: zum Akt, in dem die Kunst ihre Eigenleistung vollbrachte. Das Verwandeln eines ontologischen Nichts in ein Können eröffnete den Raum, in dem die Kunst sich selbst begründen konnte.

Der Rückgang auf die ‚disegno’-Tradition lässt schlagartig erkennen, worin die erste und entscheidende Eigenart von Faulhabers Zeichnungen nach Fotografien besteht: in der hier getroffenen Entscheidung, auf die Linie als Basiselement des Zeichnens zu verzichten. Statt aus Linien entstehen die Bilder aus einem Kontinuum tonaler Gradation. Der Verzicht manifestiert sich an beiden Polen der Zeichnung, dem zeichnerischen Akt und dem hervorgebrachten Bild. Aufgegeben wird der raumgreifende Gestus, der in einem kraftvollen Zug über den Blattgrund dem inneren Bild äußere Gestalt zu geben versucht. Das Bild entsteht sich vielmehr in einem Prozess allmählicher Emergenz. Es entwickelt sich nicht aus dem Augenblick heraus, sondern in ihn hinein, dehnt ihn von innen her.

Das Zeichnen durch tonale Gradation beruht nicht auf dem Akt der Unterscheidung, sondern auf demjenigen der Verflüssigung. Das betrifft zunächst die Dinge im Bild. Ihre Konturen verschwimmen ebenso wie ihr raumzeitlicher Ort, bis zu dem Punkt, an dem Identität, Existenz und Situation der Dinge ungewiss werden. Es betrifft aber gleichermaßen das Bild selbst, das, wenn es auf einer fotografischen Vorlage beruht, kein ‚erstes Bild’ ist, sondern ein Nachbild, d.h. ein Bild von einem Bild, und zugleich ein Metabild, d.h. ein Bild über ein Bild. Die einzelne Zeichnung wird zur Stufe in der Anverwandlung des fotografischen Motivs und der Weiterverwandlung ihres zeichnerischen Potenzials. Dabei verkompliziert sich das Verhältnis von Urbild und Nachbild dadurch, dass nicht nur die Ausgangsfotografie, sondern nachfolgend auch jede Zeichnung zum Quellpunkt weiterer Zeichnungen werden kann, sofern ein bestimmtes Merkmal Anlass gibt, es aufzunehmen und fortzuentwickeln, durchaus unter Inkaufnahme der Entfernung von der impulsgebenden Fotografie.

Das transformative Verhältnis zwischen den Zeichnungen hängt mit deren Eigenart zusammen, ein fortlaufendes Experiment mit den Möglichkeiten zu sein, Markierungen zu setzen und Sichtbarkeitsgebilde hervorzubringen. Dieses Experiment ist nicht zielgerichtet, sondern erweist sich als rekursives System, in welchem ein entstandener Effekt zum Strukturelement einer neuen Bildfindung wird – die wiederum Effekte hervorbringen kann, die zum Anstoß einer neuen Zeichnungsweise werden, usw. Die Experimente überschreiten die herkömmlichen Verfahren der Zeichnung besonders dann, wenn sie zwischen Hand und Blatt weitere Medien schieben, welche die Handschriftlichkeit verfremden oder ganz ablösen, so wie es beispielsweise bei den Pappkästen der Fall ist, in denen das eingelegte Bild, dem kontrollierenden Blick entzogen, durch das Schütteln der eingeschlossenen Kreidestücke entsteht. Die traditionell enge Bindung der Zeichnung an die künstlerische Subjektivität wird auf diese Weise gelockert – genau wie die Fotografien, auf die Faulhaber zurückgreift, zwischen Künstlersubjekt und Zeichnung die Vermittlungsebene eines bereits vorhandenen Bildes schieben, wodurch sich die traditionell ebenso enge Bindung der Zeichnung an die künstlerische Imagination löst.

Komplex ist die Beziehung von fotografischem Urbild und zeichnerischem Nachbild aber auch deshalb, weil sich das Urbild einem apparativen, nicht subjektiven und nicht leibgebundenen Sehen verdankt. Unter den vielen Bestimmungen des fotografischen Bildes lässt Faulhabers Umgang mit diesem Medium insbesondere an Bemerkungen Walter Benjamins denken, in denen dieser betont, es sei eine andere Natur, welche zur Kamera als zum Auge spreche, da an die Stelle eines vom Menschen mit Bewusstsein durchwirkten Raumes ein unbewusst durchwirkter Raum trete. Es sei, so Benjamins berühmte Formulierung, das Optisch-Unbewusste, das durch die Fotografie erschlossen werde, so wie das Triebhaft-Unbewusste durch die Psychoanalyse. Benjamin bezog seine Bemerkung auf die frühsten Zeugnisse der neuen Bildtechnik, die eine noch nicht vermessene, unbeschriftete Welt in die Sichtbarkeit hoben – in eine Sichtbarkeit, der die fotografisch porträtierten Menschen, so Benjamin, mit Scheu begegneten. Diesen Entzug inmitten der Sichtbarkeit arbeiten Faulhabers Zeichnungen nach Fotografien Henry Fox Talbots, eines der Pioniere der neuen Technik, deutlich heraus.

In signifikanter Weise trifft Benjamins Diktum aber auch auf jene reflektografischen Bilder zu, welche Benjamin noch nicht kennen konnte und die Faulhaber zum Gegenstand seiner jüngsten Zeichnungsserie machte: auf jene Durchleuchtungen von Lastwagen, die Menschen daran hindern sollen, unbemerkt und illegal eine Grenze zu passieren. Benjamins Begriff des Optisch-Unbewussten, das durch den apparativen Blick ans Licht komme, gewinnt hier eine soziopolitische Dimension, indem es als Gesellschaftlich-Unbewusstes erscheint, das sich in den hinter oder unter den Waren versteckten Menschen verkörpert, als seien sie das Verdrängte einer kapitalisierten Welt, in der Waren mehr Bewegungsfreiheit haben als Menschen. Das reflektografische Bild, welches das ‚Unbewusste’ aufdeckt, ist dabei nicht allein jenes Instrument exakteren Wirklichkeitsverständnisses, als das Benjamin die Fotografie feierte, sondern vor allem ein Beweisstück, das die Existenz der im Bild erfassten Menschen unmittelbar angreift. Als Indiz ihres Vorhandenseins wird es selbst zum Handelnden, indem es Maßnahmen auslöst, die sich gegen die Menschen richten, deren zurückgeworfene Strahlen vom Apparat registriert wurden.

Während nach der klassischen Kunsttheorie alle bildenden Künste (Malerei, Skulptur, Architektur) auf der Zeichnung basieren und Zeichnung wiederum wesentlich im Ziehen von Linien besteht, taucht mit der Fotografie eine Bildform auf, die nicht auf die Linie rückführbar ist. Ihr technischer Naturalismus durchkreuzt gerade jenen Stolz der Zeichnung, auf etwas zu gründen, was es in der Natur nicht gibt. Das fotografische Bild entsteht nicht aus Linien, sondern durch die Aufzeichnung von Intensitäten, sei es diejenige des Lichts wie in der traditionellen Fotografie, sei es diejenige von Röntgenstrahlen oder Schallwellen wie in der Reflektografie. Die Fotografie brachte eine Bildform hervor, die nicht auf der konturierenden Bestimmung der Dinge basiert, sondern auf der Schwebung zwischen Licht und Dunkel, unterschiedlichen Oberflächenbeschaffenheiten oder wechselnder Materialdichte. Solche Eigenschaften verbinden das fotografische Bild mit Faulhabers Zeichnungen. Auch letztere zeigen eine silhouettierte Welt, die von einem mittleren Grau aus stärker ins Helle oder Dunkle gleitet. Die Silhouetten der Dinge und Körper verfransen und ähneln sich einander an, beispielsweise wenn ein Pfosten so vor einem Rücken verläuft, dass er zum Rückgrat wird. Der Bildraum wird seicht, da auch er allein aus der tonalen Stufung entsteht, und öffnet sich sowohl nach vorne wie nach hinten ins Unsichtbare. Was sich abzeichnet, ist lediglich eine Schicht des Raumes, was davor oder dahinter liegt, löst sich im diffusen Blattweiß auf. Die nur gerade eine Schicht erfassende Sichtbarkeit – im Ausgangsbild eine Folge des reflektografischen Verfahrens – gerät zuweilen in Konflikt mit der Beweglichkeit der Körper, die sich nur etwas zu weit in die Raumtiefe beugen müssen, um sich im offenen Grund aufzulösen.

Dass das Sichtbare aus Graustufungen entsteht, erzeugt eine Nichtsentimentalität, welche das Pathos des Motivs, das insbesondere bei den Reflektografien der durchleuchteten Lastwagen aufkeimen könnte, neutralisiert. Die Zeichnungen evozieren keine Atmosphäre, sie sind stimmungslos. Dass sie gleichwohl Ausdruck haben, liegt daran, dass ihre Neutralität eben kein Ergebnis apparativen Sehens ist wie bei ihren Vorbildern, sondern individuell gestiftet wird. Dadurch werden die eingangs genannten Eigenschaften von Faulhabers Zeichnungen zum existenziellen Diktum. Die Auflösung der Kontur, die Zerstreuung über das Bildfeld, die Dehnung der Zeit, das Aufgehen der Handschrift in mikrologischen Markierungen, das Finden des Motivs in bereits bestehenden Bildern, die Streckung zur Serie: all dies trifft eine Aussage darüber, was und wie wir sehen, und wie wir uns gegenüber der Welt (nicht) konturieren können.

Michael Lüthy

(Aus Katalog: Gerhard Faulhaber, Hrsg. Zwinger Galerie, Alpheus Verlag, 2008)


Faulhaber

Licht und Dunkelheit

Nachbilder und Nachtbilder von Gerhard Faulhaber

Durchleuchten. Licht, das durch den Körper dringt. Strahlen, die unter die Oberfläche gehen.

Die neuen Zeichnungen . . . . . . . . sind ebenso gegenständlich wie schattenhaft. Etwas Geheimnisvolles umgibt sie. Einerseits erzählen sie mit ihren vielen, durchaus realistisch erfassten Silhouetten von Menschen, die sich in einer genau beschriebenen Situation befinden, nebeneinander sitzend unter einer Art Baldachin und uns, den Betrachtern, den Rücken zuwenden. Einen Moment lang könnte man sogar denken, man sähe die Rückseite einer Abendmahl-Komposition in diesen friedlichen, teils einander zugewendeten Figuren. Andererseits ist die Szene gespenstisch und nicht genau lokalisierbar, denn die Materie der Körper selbst scheint nicht fest und opak, sondern von Licht durchdrungen: Spuren der Wirbelsäule und anderer Knochen zeichnen sich ab und das Skelett schimmert durch die Hülle des Lebendigen wie eine Ahnung von der Sterblichkeit. Man glaubt, diese Figuren in einem Moment der Transformation und des Übergangs zu sehen, vielleicht an einer Schwelle von dieser in eine andere Welt.

Tatsächlich beruht die Anmutung des Übertretens einer Schwelle auf einer sehr konkreten Geschichte. Gerhard Faulhaber hat als Vorlage für seine Zeichnungen Fotografien benutzt, die an einer realen Grenze entstanden sind, an der die Personen tatsächlich durchleuchtet werden. Die Quelle waren Wärmebilder und Röntgenaufnahmen von Lastwagen, die an der Grenze von Mexiko und den USA der Kontrolle dienen, um illegale Einwanderer ausfindig zu machen und aufzuhalten. Der Moment, in dem die Bilder entstanden, ist zugleich der der Entdeckung der Migranten und damit ein existenzieller Augenblick, zerschlagen sich in ihm doch die Hoffnungen, die sie auf das Leben in den USA setzten. Noch aber wissen sie nichts von ihrer Entdeckung - das sieht man an der Ruhe ihrer Haltungen.

Aber dieser politische und geografische Grenzraum ist nur einer der Kontexte, den die Bilder berühren. Gitterstrukturen überlagern die Körper, gepunktete Linien rieseln durch sie hindurch wie Schneeflocken, Bögen und Säulen umgeben sie. Selbst wenn man weiß, dass diese Formen auf die Planen der LKW's und die Paletten, hinter denen die Flüchtigen sich verstecken, zurückgehen, ist stärker als dieses Wissen, dass diese Formen ganz andere Räume und Strukturen assoziieren lassen. Man kann an die Skyline von Hochhäusern denken oder an alte Arkaden und dadurch gewinnen sie ein wenig etwas von einer Reise durch die Zeit und durch historische Horizonte. Und weil Gerhard Faulhaber seine Motive wiederholt, dabei die Ausschnitte verschiebt und sich verschieden nah an die Szene heranzoomt, rückt das Spiel mit diesen strukturellen Elementen in den Vordergrund. Der Raum selbst erhält so etwas Geisterhaftes und Flüchtiges. . . . . . .

Katrin Bettina Müller

(Aus Katalog: Gerhard Faulhaber, Hrsg. Zwinger Galerie, Alpheus Verlag, 2008)


Faulhaber

Der Körper im Dispositiv der Zeichnung

Die Tätigkeit des Zeichnens vermittelt zwischen zwei Körperlichkeiten: derjenigen des Zeichners einerseits, derjenigen des Gezeichneten andererseits. Die Zeichnung gilt auch deshalb als die unmittelbarste unter den Bildkünsten, weil sie diese Vermittlung augenfällig werden lässt. Das ‚Wunder‘ der Kunst, auf einer ebenen Fläche eine ganze Welt entstehen zu lassen, wird hier in besonders elementarer Weise sichtbar, indem letztlich ein einziger Strich dafür ausreichen kann. Zugleich aber ist die Zeichnung jenes Bildmedium, dem sich die Geste des Künstlers – in ihrer Schnelligkeit, Gravität, Expressivität oder Distanziertheit – am unmittelbarsten einprägt. Darin liegt das wesentlich subjektive Moment der Zeichnung, die stets nicht nur eine Welt zeigt, sondern darin mit zeigt, in welchem Verhältnis – des Beobachtens, des Staunens, der Kritik – der Zeichner zum Gezeigten steht. Die Medialität der Kunst, d.h. ihre Kapazität, zwischen Subjekt und Welt zu vermitteln, erweist sich bei der Zeichnung also als besonders körperbezogen: diese wird zum Medium, das die Spur der zeichnenden Hand festhält; zugleich wird jedoch auch der Körper des Zeichners zu einem Medium: zu einem Instrument, den zeichnerischen Impuls auf das Blatt zu übertragen.

1987 beginnt Faulhaber eine Reihe großformatiger Zeichnungen, in denen sich seine Bildsprache grundlegend wandelt. Die wiedererkennbare Welt mit ihren menschlichen Körpern, die zuvor in durchaus expressiver Weise Bildgegenstand war, verschwindet. Einzug hält stattdessen eine Zeichnungsweise, die auf die materiellen und medialen Grundlagen dieser Tätigkeit zurückgeht. Gerade dadurch aber bleibt der Körper als Thema präsent, allerdings in anderer Position und Funktion. Er wird nun zur Determinante im zeichnerischen Dispositiv. War er in den gegenständlichen Zeichnungen dasjenige, was aus den Strichen heraus entstand, wird er jetzt zu demjenigen, der vor dem ersten Strich das Entstehen der Zeichnung reguliert. So folgt beispielsweise die Blattgröße aus der Reichweite des Armes: Die Ränder des Blattes sollen ohne Stellungswechsel des Körpers gerade noch erreichbar sein. Die Strichformen wiederum sind Explorationen, auf welch unterschiedliche Arten Graphit oder Kreide über das Blatt sich ziehen, rollen oder schieben lassen. Zwischen den Fertigkeiten des zeichnenden Körpers und der Struktur der Zeichnung knüpft sich ein enges Band. In der Eigenart, die Fläche des Blattes zum operationalen Raum und die Technik des Zeichnens zum Inhalt der Zeichnung werden zu lassen, liegt ein selbstreflexives, in sich zurücklaufendes Moment.

Obschon der Körper auf diese neuartige Weise ein bestimmendes Moment der Zeichnungen bleibt, zieht er sich doch ins Ungreifbare zurück. Am Fluchtpunkt der Zeichnungsserie, der 1992 erreicht wird, realisieren die Blätter eine stupend ebenmäßige Behandlung der gesamten Bildfläche. Ein dicht bedecktes, von zahllosen Linien gleichmäßig texturiertes Feld entsteht, das Kontraste und Plastizität dämpft und die Zeichnung auf eine minimal differenzierte Oberfläche irisierenden Schwarzgraus reduziert. Selbst auf die orthogonale Orientierung nach oben und unten, links und rechts sowie auf Anfang, Mitte und Ende wird verzichtet. Damit arbeiten die Zeichnungen der Subjektivität des Zeichnens entgegen. Sie sind keine Arena der Expressivität und kein Resonanzraum der Innerlichkeit. Ihre Ambition scheint vielmehr darin zu liegen, die körperlichen Voraussetzungen des Zeichnungsaktes möglichst restlos zum Verschwinden zu bringen. Ob der Zeichner Links- oder Rechtshänder ist, von welchen Stimmungen die Ausführung begleitet war und wie lange sie dauerte: all dies wird aufgehoben in einem Duktus, der eine von jeder Subjektivität losgelöste raumzeitliche Ordnung entwirft – eine Ordnung, die das Ticken der Uhr und die pragmatische Orientierung im Raum nicht kennt. Faulhaber praktiziert hier, was man einen produktionsästhetischen Illusionismus nennen kann: als seien die Zeichnungen entstanden, ohne gemacht worden zu sein. Sie werden zum Ort einer eigenen und strikten Gesetzlichkeit. Ein Ausbruch aus dem Gesetz regularisierter Linien, eine Einmischung des Ichs, und die Zeichnung ist verloren.

Michael Lüthy

(Aus Katalog: Gerhard Faulhaber, Hrsg. Zwinger Galerie, Alpheus Verlag, 2008)

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